Stilles Leben und tote Werke der Natur
Auf einem Türrahmen im Ausstellungsraum ist aufgereiht und aufgestapelt eine Gruppe aus braunem Ton geformter kleiner Schädel, grinsend, träumend, ratlos, zahnlos lachende schrumpelige Masken. In einer Ecke gegenüber liegen auf Salzhaufen schwarze Klumpen aus Ton, sie erinnern an verbrannte Kartoffeln in der Asche. Auf dem Boden und an den Wänden sind weitere Objekte arrangiert, die in ein geheimes Gespräch getreten zu sein scheinen, ihre eigenen Zusammenhänge erschaffen. Die Arbeiten von Aino Nebel kommen zur Wirkung in Inszenierungen und Installationen.
Es ist eine stille Kunst. Scheinbar zufällig reihen sich die Objekte im Raum aneinander, lagern sich übereinander, fügen sich zu Gruppen, bilden Arrangements, die den Charakter von Stilleben tragen. Das Fragmentarische, das mitunter den einzelnen Objekten eigen ist, löst sich auf in dem atmosphärischen Raum, der entsteht, wenn die Arbeiten in Beziehung zueinander treten. Viele der Arbeiten von Aino Nebel lassen sich betrachten als eine Übertragung der Idee des Stillebens, der natura morta, wie es im romanischen Sprachraum ebenso widersprüchlich heißt, vom Bildraum in den dreidimensionalen Raum, in das Plastische, Bildhauerische.
Der Bezug zum Stilleben entsteht bereits durch die Auswahl der Materialien: neben traditionellen mineralischen Werkstoffen wie Ton, Gips, Glas und Porzellan, verwendet Nebel auch Organisches, Vergängliches wie Blüten und Früchte oder Fragiles wie Papier, Zucker und Spitzen. Diese Materialien stellen zugleich die universellen Ausstattungselemente des traditionellen Stillebens dar: Stoffe, Porzellan, Gläser, Früchte, Pilze, Blüten, die Schale mit Eiern oder der Salamander am Bildrand. Auch Masken und Puppen gehören zum klassischen Inventar der Stillebenmalerei bis in das 20. Jahrhundert hinein.
Dabei nähert sich Aino Nebel dem Vanitasgedanken gewissermaßen von der anderen Seite. Die in dem Schein der Malerei niemals welkenden oder vergehenden Dinge holt sie in die Zeitlichkeit, in das Sein der Wirklichkeit zurück, wo Blüten und Früchte trocknen und Porzellan zerbricht, bezieht sie in ihre Arbeiten ein und macht ihre Fragilität und Vergänglichkeit anschaulich. Durch dieses Sichtbarmachen der Grenzen des Materials, vielleicht des Materiellen überhaupt, werden die Objekte zu Zeichen, werden die Arrangements zum memento mori.
Das jedem Stilleben eigene Spiel mit dem Gegensatz zwischen Schein und Sein wird in den Arbeiten weitergeführt in der trügerischen Natur von Abgüssen. Überhaupt hat Aino Nebel eine Affinität zu Hohlformen, zu Hüllen. Als einen Vorzug der Schalenskulptur betrachtet sie „die Abwesenheit Eigentlichen, das heißt, das, was thematisiert wird, der sogenannte Inhalt, ist gar nicht da, es gibt einen Hohlraum, der mit Gedanken, Assoziationen gefüllt werden kann oder auch einfach Leerstellen einen Platz einräumt." Georges Didi-Huberman hat auf den den allen Abdrücken immanenten Bezug zum Tod hingewiesen, eine Erfahrung, die auch die Künstlerin mit ihren Objekten macht: „Den eigentlichen Apfel gibt es jetzt nur noch in der Erinnerung." Doch in ihren Arbeiten geht es vielleicht weniger um den Tod an sich, als vielmehr um Prozesse von Verwandlungen, um Metamorphosen.
Ausgehend von formgebenden Prozessen wie Wachstum, Trocknung, Kristallisation, Anhäufung, Schichtungen, die sie besonders in früheren Arbeiten einbezog, folgt der Herstellungsprozess von Aino Nebels Objekten den Vorgaben durch die Eigenschaften des Materials. Dieser sinnliche Prozess der Bearbeitung und Erkundung des Werkstoffes wird verfolgt bis an seine Grenzen, wo er porös, brüchig wird, zerfällt. „Ein Material lerne ich kennen, indem ich es bis an den Rand seiner Möglichkeiten strapaziere,“ sagt sie und spricht von dem Ehrgeiz, „einen Scherben zu erhalten, der so dünn wie nur irgend möglich ist, um dem Porzellan an die Substanz zu gehen." Auch das Mitwirken de Brennofens ist Bestandteil dieser Arbeit, die Veränderung an den Objekten und der Glasur durch die enorme Kraft der Glut; die Fremdeinwirkung auf das Material beim Brennen im Ofen in der Abwesenheit der Künstlerin.
Auffallend ist Aino Nebels Sinn für das Materialität, die bedachte Auswahl der Werkstoffe, die Bedeutung ihrer Schwere oder Leichtigkeit, der Sinn für die haptischen Qualitäten von Oberflächen, ihre differenzierte Farbigkeit. Vielleicht lässt sich hier die Kontinuität einer Haltung ausmachen: Das Material wird als Gegenüber begriffen, dem es nachzuspüren gilt, das „begriffen" werden soll, dessen Eigenschaften es zu erkunden gilt. Der umsichtige Blick auf das Detail ebenso wie auf das Ganze, der auch Deformierungen und Brüche zulässt, wird zum Ausdruck einer menschlichen Geste, einer Umgangsweise, eines gewissermaßen ethischen Umgangs mit dem Stoff. Dort, wo die Bildhauerin mit dem Material mitgeht, es erspürt, sich von ihm führen läßt, entsteht die Form.
Caroline Wesenberg
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Aino Nebel ©